Ehemalige Garnison Engstingen

Rezensionen

„Relikt des Kalten Krieges”
von Andreas Fiegel (Pforzheimer Zeitung)

Tausende Rekruten haben dort ihren Wehrdienst abgeleistet, unzählige Offiziere dem Vaterland gedient. Die Rede ist von der Eberhard-Finckh-Kaserne, die vor einem halben Jahrhundert auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb, nahe Großengstingen, entstand. Es war der erste Bau eines Bundeswehrstandorts nach dem Zweiten Weltkrieg in Baden-Württemberg. Im Februar 1958 rückten die ersten Soldaten in die nach dem in Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichteten deutschen Widerstandskämpfer Eberhard Finckh (1899 bis 1944) benannten Kaserne ein.

Heute, 50 Jahre später, ist von der Kaserne nicht viel übrig geblieben. Im Dezember 1993, drei Jahre nach der Wiedervereinigung und dem Ende des osteuropäischen Verteidigungsbündnisses Warschauer Pakt, wurde der Standort aufgegeben, die Kaserne geschlossen. Mittlerweile wurde das militärische Areal von der Gemeinde zu einem Gewerbepark umgewandelt. Ein Großteil der Mannschaftsunterkünfte wurde abgerissen, Luftschutzkeller zubetoniert, die überdachte Panzerrampe beseitigt. Nur wenige Relikte des Kalten Krieges sind erhalten geblieben. Die ehemalige Kaserne hat sich inzwischen zu einem zentralen Wirtschaftsstandort auf der Mittleren Alb entwickelt.

Schon vor zwei Jahren hat der Journalist Joachim Lenk die Geschichte der Kaserne und ihrer darin stationierten Einheiten aufgegriffen. Entstanden ist ein großformatiges, faktenreiches, opulent illustriertes, 230 Seiten starkes Buch: „Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition“. Mehrfach in die Schlagzeilen geriet der militärische Standort in den achtziger Jahren. Die Friedensbewegung hatte die Haid-Kaserne entdeckt – eher zufällig.

Auslöser für die Demonstrationen in Großengstingen war 1981 ein Artikel im Magazin „Stern“, der aufdeckte, wo in Deutschland atomare Sprengköpfe gelagert sind. Darunter auch Großengstingen. Genauer: im Sondermunitionslager „Golf“, wenige Kilometer von der Kaserne entfernt.

1969 war das in einem Wald eingebettete Lager eingerichtet und im Laufe der Jahre zu einer wahren Festung mit dreifacher Umzäunung, Panzersperren und Wachtürmen ausgebaut worden. Dort, so wollten es Gerüchte, soll die US-Armee nukleare Sprengköpfe für das Raketensystem „Lance“ in zwei Bunkern streng bewacht lagern. Zuständig für die Trägerrakete: das Raketenartilleriebataillon 250 in der Eberhard-Finckh-Kaserne.

Der „Stern“-Artikel löste wahre Pilgerströme Tausender Friedensbewegter aus. Unter den Demonstranten fanden sich die Grünen-Politiker Wolf-Dieter Hasenclever, Petra Kelly, ihr Lebenspartner Gerd Bastian, ehemals Divisionskommandeur, und der junge Cem Özdemir. Unterstützung erfuhren die Pazifisten vom Tübinger Rhetorik-Professor Walter Jens.

Zwischen 1983 und 1992 kam es immer wieder zu Blockaden und Mahnwachen vor den militärischen Einrichtungen. Noch im November 1992 machte sich der auf der Schwäbischen Alb geborene Liedermacher Thomas Felder zusammen mit Freunden in Richtung Lager „Golf“ auf den Weg, nichts ahnend, dass die Amerikaner schon vor Monaten abgezogen und die Bunker leer waren. Mittlerweile nutzt eine zivile Sprengmittelfirma das Lager „Golf“.

Beweise über die Existenz atomarer Sprengköpfe auf der Reutlinger Alb gab es nie. Erst im März 1993 lüftete ein hochrangiger Offizier das mehr als 20 Jahre streng gehütete Geheimnis, dass im Lager Golf „bis Ende 1991 nukleare Sprengköpfe gelagert waren“.

„Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition”
von Friedrich Jeschonnek (Hardthöhen-Kurier)

Im 20. Jahrhundert war Mitteleuropa wohl der Teil der Erde, auf dem die größte Dichte an militärischer Infrastruktur anzutreffen war. Im Zeitalter der Millionen- und Mobilmachungsheere wurden fast an jedem Ort Deutschlands Festungen, Kasernenanlagen, Depots, Bunker, Flugplätze und anderes mehr gebaut, um für eine kriegerische Auseinandersetzung gut gerüstet zu sein. Mit dem Ende des Ost-West Konfliktes hat eine „infrastrukturelle Konversion“ begonnen: Ein beachtlicher Teil militärischer Infrastruktur ist nicht mehr erforderlich, häufig auch zu unwirtschaftlich oder renovierungsbedürftig und ist deshalb für die zivile Nutzung freigegeben, verkauft oder verpachtet.

Aufgrund dieser Entwicklung ist die militärische Fachliteratur um einen Zweig reicher: Zahlreiche Broschüren und Bücher entstanden und entstehen über ehemalige militärische Standorte und ihre Kasernenanlagen. Bauzeichnungen, Fotos und Infrastrukturdaten, einst teilweise geheim, werden für jedermann zugänglich.

Das Interesse an derartiger Literatur wächst: Ehemalige Soldaten und ihre Angehörigen erfreuen sich der Dokumentation von Stätten ihres militärischen Dienstes, ungeachtet ob man als Wehrpflichtiger, Zeitsoldat oder Berufssoldat gedient hat. In diesen literarischen Rahmen gehört das Buch über die Geschichte des Standortes Großengstingen auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg.

Es verdient Beachtung aus vielfältiger Sicht: Zum einen wird Militärgeschichte aus Alltagsbildern und Ereignisdarstellungen eines Militärstandortes lebendig, zum anderen wird am Beispiel Großengstingen die verschiedenartige Nutzung von Kasernenanlagen im Laufe eines mehr als halben Jahrhunderts deutlich: Der Autor und Reserveoffizier  stellt die Entwicklung militärischer Infrastruktur einschließlich zwischenzeitlicher Erweiterungs- und Neubauten von der Munitionsanstalt Haid, der Lungenheilanstalt, dem Kreisflüchtlingslager, bis zur Haid-Kaserne, zur Eberhard-Finckh-Kaserne und dem daraus entstandenen heutigen Gewerbepark dar.

Ergänzend zur Infrastrukturgeschichte des Standortes wird die Historie der Truppenteile und Dienststellen, mit Schwerpunkt die nahezu fünfzigjährige Nutzung durch die Bundeswehr, erläutert. Das immer wieder wegen Anti-Krieges-Demonstrationen Schlagzeilen verursachende Sondermunitionslager Golf für US Nuklearmunition erfährt eine späte Würdigung und Darstellung mit teilweise seltenen Bildern, die den Aufbau der Anlage erkennen lassen. Kunstwerke der Soldaten und Wandzeichnungen werden der Nachwelt überliefert.

Das Buch schließt mit Berichten, wie die Ehemaligen auch über ihre Dienstzeit hinaus Verbindung halten und welche Rolle dabei der Standort als positiver Erinnerungsort hat. Verdeutlicht wird auch, wie stark die Bundeswehr regional integriert war und ist. Verdienst des Autors ist, Erinnerungen, Ereignisse und Bilddokumente eines Standortes zusammengetragen und für die Nachwelt erhalten zu haben, in dem in Zukunft wohl Militärisches keine große Bedeutung mehr hat.

Um so mehr verdient das Werk Anerkennung, als in mühevoller Befragung von Zeitzeugen Vergangenes rekonstruiert werden musste, da eine Abstützung auf das Bundesarchiv / Militärarchiv wegen der weiter bestehenden Sicherheitseinstufung vieler Dokumente noch nicht möglich war.

„Soldaten, Sprengköpfe, scharfe Munition und die Friedensbewegung”
von Christian Turrey (Pax Christi)

Die Friedensbewegung hat Geschichte gemacht – jetzt wird über die Geschichte der Friedensbewegung geschrieben. Zum Beispiel in einem 18 Seiten starken Kapitel des neuen Buches „Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition – Militär am Einödstandort Engstingen 1939 bis 1993“ von Joachim Lenk.

Sein im DIN A 4-Format gehaltenes Buch ist zwar eher ein reich bebildertes Erinnerungsalbum auf rund 230 Seiten für ehemalige Soldaten in Engstingen (mit entsprechenden Fotomotiven wie „Soldaten reitend auf einer Rakete“), aber auch die „Friedensbewegung Engstingen“ (so die Überschrift des Extra-Kapitels) wird relativ ausführlich in diesem Rahmen erwähnt.

Natürlich lässt der Journalist und Oberleutnant der Reserve Lenk durchblicken, wem aus seiner Sicht das Ende des „Kalten Krieges“ und der Abzug der Atomsprengköpfe aus Engstingen zu verdanken ist: „Die hohe Einsatzbereitschaft der Soldaten auf der Haid trug bestimmt mit dazu bei, dass die Führung der damaligen Sowjetunion die Nutzlosigkeit ihrer einseitigen Hochrüstung einsah.“ (aus dem Vorwort).

Aber immerhin ist auf der Umschlagrückseite neben den Wappen der einzelnen Bataillone auch ein Aufkleber der Friedensbewegung abgebildet. Dokumentiert sind auch z. B. zwei Gedenksteine der Friedensbewegung, ein Strafbefehl gegen den Friedensdemonstranten der ersten Stunde, den Gönninger Liedermacher Thomas Felder, und Plakate und Transparente aus dem Amtsgericht Münsingen, wo gegen Felder und andere Blockierer in den 80er Jahren verhandelt wurde.

Die Geschichte des Militärstandortes Engstingen auf der Reutlinger Alb begann im Jahr 1939, als im „Munitionsstandort Haid“ Luftwaffenmunition und V1-Raketen gelagert wurden. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene arbeiteten damals dort. Nach dem Krieg war das Gelände drei Jahre lang Lungenheilanstalt, anschließend ein von der Caritas Reutlingen betreutes  „Kreisdurchgangslager“ für etwa 800 Flüchtlinge.

Doch das Militär hatte wieder einen Auge auf den Standort geworfen: In den ersten Kasernenneubau nach dem Zweiten Weltkrieg in Baden-Württemberg zogen 1958 wieder Soldaten ein. Benannt wurde die Kaserne nach einem der Männer des 20. Juli – Eberhard Finckh. Einmalig ist, dass zu Hochzeiten der Friedensbewegung die drei Kinder von Finckh vom Verteidigungsministerium mehrfach verlangten, den Namen wieder zu löschen.

Für die Kinder war es „ein Greuel, dass in der Eberhard-Finckh-Kaserne Lance- Raketen ind in ihrer Nähe Atomwaffen lagern“. Die hatten die Amerikaner auf die Alb gebracht, und zwar ins Sondermunitionslager Golf. Immer wieder protestierten Friedensbewegte dagegen, 1981 hatte der erste Ostermarsch in Engstingen stattgefunden.

Inzwischen ist das Sondermunitionslager geräumt, zwei der Bunker sind an ein Sprengstoffwerk aus Sachsen vermietet. Die ehemalige Kaserne wurde 1993 ebenfalls geräumt, die Bataillone in andere Städte verlegt oder aufgelöst. Auf dem ehemaligen Kasernengelände ist ein Gewerbepark untergebracht.

Zum deutschlandweiten „Tag des offenen Denkmals“ am 9. September sollte das ehemalige Atomwaffenlager in diesem Jahr eigentlich geöffnet werden, aber das ist vorläufig auf 2008 verschoben. Schade, ein geräumtes Atomwaffenlager ist allemal ein sehr gutes und vorzeigbares Denkmal!

„Neues Buch über Großengstingen”
von Johann Bruhn (Loyal)

Mit der Munitionsanstalt Haid begann 1939 die Geschichte des Standortes Großengstingen auf der Schwäbischen Alb. Nach dem II. Weltkrieg entstand dort 1950 seine Lungenheilanstalt und bis Ende der 50er Jahre brachte man Flüchtlinge und Heimatvertriebene unter.

1958 zogen die ersten Soldaten in die Eberhard-Finckh-Kaserne ein. Bis zur Schließung der militärischen Anlage Ende 1993 waren dort unter anderen das Panzerbataillon 322, einige Fallschirmartilleriebataillone der 1. Luftlandedivision, das Beobachtungsbataillon 270, das Instandsetzungsbataillon 210 sowie das Raketenartilleriebataillon 250.

Dicht dabei befand sich von 1969 bis 1992 das Sondermunitionslager Golf, in dem die US Army nukleare Sprengköpfe in streng bewachten Bunkern aufbewahrte, was auch die Friedensbewegung auf den Plan rief.

„Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition”
von Sören Sünkler (Tankograd Military)


Militär am Einödstandort Engstingen von 1939 bis 1993. Heute erinnert fast nichts mehr daran, dass in Großengstingen mehr als ein halbes Jahrhundert das Militär und zehn Jahre Friedensbewegung eine zentrale Rolle gespielt haben.

Damit diese bewegte Zeit nicht in Vergessenheit gerät, hat Militärfachmann Lenk das vorliegende Werk verfasst. Unter anderem werden mit seltenen historischen Fotos die Munitionsanstalt Haid, die Eberhard-Finckh-Kaserne, das Sondermunitionslager Golf, die Standortverwaltung, der Standortübungsplatz und natürlich die Friedensbewegung umfangreich beschrieben. Bewertung: Empfehlenswert.

„Denkmal des Kalten Krieges”
von Raimund Weible (Südwest Presse)

Die ehemaligen Atomwaffenbunker auf der Reutlinger Alb bleiben streng abgeschirmt. Die Gemeinde Hohenstein hat die Anlage als Sprengstoffdepot verpachtet. Ihr Abriss wäre für die kleine Kommune viel zu teuer. So bleibt sie stehen als eine Art Gedenkstätte.

Vier riesige Chinook-Hubschrauer landeten im Herbst 1991 nahe der Eberhard-Finckh-Kaserne zwischen Trochtelfingen, Engstingen und Hohenstein (Kreis Reutlingen). Den Sinn der Operation kannten nur wenige Militärs. Die amerikanischen Hubschrauberpiloten hatten den Auftrag, zwei Bunker zu räumen.

In jedem lagerten 15 Atomsprengköpfe. Die Waffen waren am Ende des Kalten Krieges überflüssig geworden. Nach dem Abtransport der Bomben und der Raketenmotoren zogen auch die amerikanischen Bewacher ab. Vor 15 Jahren, am 31. Mai 1992, löste die US-Armee das 84. Field Artillery Detachment auf. 23 Jahre hatte die Einheit im Sondermunitionslager Golf Atomsprengköpfe bewacht.

1993 räumte die Bundeswehr auch die Eberhard-Finckh-Kaserne. Das Gelände kam wieder in zivile Hände. Der Autor Joachim Lenk nennt die Bunkeranlage in seinem neuen Buch über das Militär am Standort Engstingen ein „schauriges Denkmal aus der Zeit des Kalten Krieges”.
Eigentümerin des einst brisanten Abschnitts „J” im Sondermunitionslager Golf ist seit 1996 die Gemeinde Hohenstein. Für 6.000 Mark (3.068 Euro) kaufte sie die 5,5 Hektar große Fläche zurück. 1967 hatte der heutige Ortsteil Meidelstetten, damals noch selbstständige Gemeinde, das Gelände für 89.000 Mark (45.500 Euro) an den Bund abgetreten.

Bundeswehrsoldaten mussten einst am äußeren Ring des Atomwaffenlagers Wache schieben. Die Männer beschäftigt dieser nervtötende Dienst heute noch. Damals durften sie über ihre Erlebnisse nicht sprechen. Jetzt äußern sie sie sich. Im Gästebuch von Joachim Lenks Internet-Seite mokiert sich ein Soldaten aus Stuttgart über die Dienstauffassung der GIs: „Die schlafenden Amerikaner werde ich nie vergessen. Mein Gott, da lagen Atomsprengköpfe.”

Auch das Alarmsystem, so erfuhr Lenk, hatte Mängel. Bei einem Test gelang es dem Sicherheitsinspekteur mit einem einfachen Trick, das Alarmsystem lahm zu legen. Weder leuchteten die Warnlampen im Wachlokal  auf, noch heulten die Sirenen los, als der Inspekteur die zweieinhalb Tonnen schwere Bunkertore öffnete.

Die Gemeinde Hohenstein hat die Bunkeranlage an das sächsische Sprengstoffwerk Gnaschwitz verpachtet. Das Unternehmen verschaffte sich die Erlaubnis, in den ehemaligen Atombunkern jeweils 27 Tonnen Sprengstoff für den Bergbau zu lagern. Bürgermeister Jochen Zeller ist froh über das Engagement der Firma. Sie sorgt für Ordnung auf dem abgelegenen Areal. Gleich nach dem Abzug der Soldaten hatten unerbetene Besucher den Zaun überstiegen.

An eine Renaturierung des Depots ist laut Zeller nicht zu denken. Der Abbau der Bunker, der Wachtürme, der Unterkünfte und technischen Bauten würde für die Gemeinde viel zu teuer. So bleibt das alte Atomwaffenlager als „eine Art Gedenkstätte” (Zeller) erhalten. Am „Tag des offenen Denkmals” am 9. September ist sie fürs Publikum geöffnet. 

„Vom Munitionslager zum Raketenstandort”
von Eberhard Wais (Hohenzollerische Zeitung)

„250er” sind nicht nur Motorräder und Golf nicht nur eine Sportart – zumindest für viele, die bis 1993 in Großengstingen auf der Schwäbischen Ab bei der Bundeswehr waren. Viele kamen aus dem Zollernalbkreis und Hechingen, heimatortnahe Stationierung also.

Die Geschichte von Muna Haid ist nicht lang. 1939 wurde am Standort Großengstingen die Munitionsanstalt Haid eröffnet. Aus dem im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten und ausgebombten Gelände wurde 1950 eine Lungenheilanstalt, einige Jahre lang wurden dort Flüchtlinge und Heimatvertriebene untergebracht, bis 1958, also vor knapp 50 Jahren, die ersten Soldaten einzogen.

Erst war es das Panzerbataillon 322, dann kamen Fallschirmjäger, ein Beobachtungsbataillon, schließlich die Instandsetzer und mit ihnen das Raketenartilleriebataillon 250. Eine Einheit, in der zahlreiche Wehrpflichtige aus der Region ihren Wehrdienst ableisteten oder während ihrer Dienstzeit stationiert waren, wie auch der Autor dieses Beitrages.

Die Geschichte dieser Einheit hat jetzt ein anderer Ehemaliger aufgearbeitet, Journalist und Reserveoffizier Joachim Lenk. Kein leichtes Unterfangen, wie er einräumt, denn obwohl es seit 1993 in Haid keine Soldaten stationiert sind und auch die 250er aufgelöst wurde, gehören offizielle Unterlagen zur Geschichte des Standorts noch zu den „geschützten“ Quellen im Militärarchiv Freiburg.

Also war Lenk auf andere Hilfen angewiesen. In erster Linie natürlich Erinnerungen und Unterlagen der vielen Großengstinger, die mit der Kaserne und den dortigen Soldaten in vielfältiger Weise in Kontakt gekommen waren. Dann aber auch von ehemaligen Soldaten, die ihm Briefe, Fotos und Zeitungsausschnitte zusandten: „Bei meinen Recherchen in den vergangenen zwei Jahren habe ich von ehemaligen Soldaten immer wieder Zeitungsartikel erhalten, die die ‚Hohenzollerische Zeitung‘ zwischen 1958 und 1993 veröffentlicht hat“.

Verständlich, denn es kommen sehr viele Ehemalige aus dem HZ- Verbreitungsgebiet. Ihnen muss man auch nicht erklären, das Golf damals nicht nur ein (noch seltener) Sport war, sondern die Abkürzung für ein ausschließlich von US-Amerikanern streng bewachtes Sondermunitionslager, sozusagen absolut „off limits“ und daher bevorzugtes Ziel für tausende Menschen der Friedensbewegung, die dort immer wieder für den Abzug der atomaren Raketen demonstrierten, noch vor Mutlangen.

 Das ist Zeitgeschichte. Vergangen, wie viele der damaligen Kasernengebäude, die im heutigen Gewerbepark Haid nicht mehr benötigt werden. Die Erinnerungen werden heute nicht nur in Kreisen des Reservistenverbandes gepflegt, sondern auch in einer eigenen „Kameradschaft ehemaliger Soldaten Engstingen“. Drei bis vier Mal im Jahr treffen sich die Mitglieder in einem Lokal auf der Mittleren Alb.
Ausgangspunkt der nur 55-jährigen Standortgeschichte war die Quasi- Enteignung des Großengstinger Gemeindewaldes 1938. Ab dem Frühjahr 1939 wird dort, noch geheim, Munition gefertigt. Selbst Reichsluftfahrtminister Hermann Göhring inspiziert die Anlage und geht in den Wäldern von Genkingen und Unterhausen auf Rehbockjagd.

Im großen Stil werden 8,8- und 10,5-Zentimentergranaten zu Abwurfbomben umgebaut. Mit zunehmender Kriegsdauer wird das Personal durch Kriegs- und politische Gefangene ersetzt. Zum Kriegsende wird die Muna bombardiert und weitgehend zerstört. Nach dem Krieg müssen die zahlreichen Bomben und Blindgänger erst entschärft werden, ehe von den zahlreichen Verwendungsvorschlägen der einer Lungenheilanstalt umgesetzt wird. Aber nur für drei Jahre, dann werden die Gebäude als Kreisdurchgangslager für Flüchtlinge, Heimatvertriebene und Umsiedler benötigt.

Wenige Jahre nach der Wiederbewaffnung ziehen 1958 die ersten Soldaten auf der Haid ein. Neue Kasernengebäude entstehen, der erste Kasernenneubau in Baden-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Einheiten wechseln schnell, bis Mitte 1963 das II.. Korps die ersten Soldaten des neuen Raketenartilleriebataillons 250 auf die Alb schickt.

Das Gelände wird immer weiter ausgebaut. Auch um die Voraussetzungen für das damals neue Waffensystem, die „Sergeant“ zu schaffen. Denn mit dieser Rakete könnten sogar kleine Atomsprengköpfe verschossen werden. Das weckt Neugier. 1965 wird die Kaserne auch getauft. Sie heißt jetzt Eberhard-Finckh-Kaserne nach dem in Urach aufgewachsenen Widerstandskämpfer.

Seit 1967 übernehmen die US-Amerikaner die Sicherung der Gefechtsköpfe für die Sergeant im Sondermunitionslager Golf. „Als NATO-Mitglied ist die Bundeswehr verpflichtete, in Deutschland Nuklear-Gefechtsköpfe der amerikanischen Armee einzulagern“, erläutert Joachim Lenk in seinem neuen Buch  „Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition” über den Standort Haid, „die Bundeswehr hat keine Verfügungsgewalt über nukleare Waffen, sie ist lediglich im Besitz der Trägersystem. Das sind zum Beispiel Flugzeuge, Raketen und Geschütze. Nur der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika kann die Freigabe der Atomsprengköpfe für einen Einsatz verfügen“.
 
Also kommen in den inneren Sperrbereich nur amerikanische Soldaten – Stoff für Legendenbildung auch unter den deutschen Soldaten, von denen etwa die 6. Batterie für den äußeren Sicherheitsring zuständig ist. Denn regelmäßig werden die Gefechtsköpfe wieder an andere Standorte und zurück verlagert, um die gegnerische Spionage im Unklaren über den aktuellen Standort zu lassen.

„Der Dienst der Wachsoldaten ist anstrengend. Manchmal liegen die Nerven blank. Eines Tages nehmen sie Waldarbeiter aus Trochtelfingen fest, die sich in der Nähe des Lagers aufhalten, Erst nachdem Bürgermeister Heinz Daubmann seine Mitarbeiter vor Ort identifiziert hat, dürfen sie mit ihren Äxten und Sägen weiter arbeiten“, schildert Lenk. Es gab aber auch Schlimmeres. 1976 dreht ein 22-jähriger Bundeswehrsoldat während der Wachablösung durch und erschoss mit 20 Schüssen im Streit einen gleichaltrigen Unteroffizier.

Zunehmend wird Golf ausgebaut, Anfang der 80er Jahre gleicht das Lager einer uneinnehmbaren Festung. Tausende durchlaufen in diesen Jahren Ausbildung und Dienst auf der Haid, deren Höhepunkte meist die Schießübungen auf Kreta sind. Unvergessen auch die ersten Ostermärsche ab 1981 vor der Kaserne. Aber nicht ihr Protest ist es, der das Ende des Standorts Großengstingen einläutet, sondern die allgemeine Abrüstung in Verbindung mit der Wiedervereinigung. Die Bundeswehr wird von 550 000 auf 370 000 Soldaten verkleinert, da werden einige Standorte überflüssig.

Dazu gehört schnell auch Großengstingen, 1993 wird offiziell das Raketenartilleriebataillon 250 außer Dienst gestellt. Die Gemeinde Großengstingen kann ihr über 50 Jahre zuvor enteignetes und abgelöstes Waldgrundstück wieder zurückkaufen. Hier soll aber kein Wald mehr entstehen, sondern der Gewerbepark Haid. 2001 beginnt der Abbruch der meisten früheren Kasernengebäude. Heute erinnert nur noch die Gedenktafel die jahrzehntelange Nutzung. Anlass für Wehmut ? Nein, denn die Entwicklung ist ja auch Ausdruck der immer ersehnten Abrüstung.

„Heimatkunde als Wehrkunde”
von Wolfgang Alber (Schwäbisches Tagblatt)

Heimatkunde als Wehrkunde präsentiert Joachim Lenk in seinem Buch „Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition”, das vom ehemaligen Militärstandort Engstingen berichtet. Lenk zeichnet die Geschichte der Eberhard-Finckh-Kaserne nach, wo in den 1980er-Jahren Atomsprengköpfe stationiert waren und vor 25 Jahren die Friedensbewegung dagegen protestiert hat.

Das Buch lebt von seinen 550 Schwarz-Weiß-Fotos und gibt einen Überblick über das Militär am Einödstandort Engstingen 1939 bis 1993. Zum ersten Mal werden dabei auch Bilder aus dem Hochsicherheitstrakt gezeigt.

„Militär in Engstingen 1939 bis 1993”
von Claus Bittner (Kameraden)


Hier wird eine außergewöhnliche Garnisonstadt mit ihrer hochinteressanten Geschichte dargestellt. Mit der Munitionsanstalt Haid begann 1939 die Geschichte des Standortes Großengstingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand auf dem fast völlig ausgebombten Gelände 1950 eine Lungenheilanstalt, bevor dort bis Ende der 50er-Jahre Flüchtlinge und Heimatvertriebene untergebracht wurden. 1958 zogen die ersten Soldaten in die neu gebaute Eberhard-Finckh-Kaserne ein

Bis zur Schließung der militärischen Anlage 1993 waren dort unter anderen das Panzerbataillon 322, einige Fallschirmartilleriebataillone der 1. Luftlandedivision, das Beobachtungsbataillon 270, das Instandsetzungsbataillon 210 sowie  das Raketenartilleriebataillon 250 und die Nachschubkompanie 550 stationiert. Das Buch schildert kenntnisreich und lebendig das militärische Leben in einem Einödstandort über 54 Jahre hinweg.

In der Nähe befand sich von 1969 bis 1992 das Sondermunitionslager Golf, in dem die US-Armee nukleare Sprengköpfe in streng bewachten Bunkern aufbewahrte. Diese Waffen riefen die Friedensbewegung auf den Plan, die dort immer wieder für den Abzug der atomaren Raketen demonstriert hat. Auch sie ist in dem Nachschlagewerk vertreten.

Ein Kapitel widmet sich der Standortverwaltung (1957 bis 1993). Außerdem ist alles Wissenswerte über den Gewerbepark Haid nachzulesen, der 1994 auf dem ehemaligen Kasernengelände entstanden ist. Vorgestellt werden zudem die „Kameradschaft Ehemalige Engstinger” im Deutschen Bundeswehrverband, die „Reservistenkameradschaft Engstingen” und der „Traditionsverband Raketenartilleriebataillon 250”.

„Von Wehrdienst und Ostermärschen”
von Christine Dewald (Reutlinger Generalanzeiger)

Anna Raitbaur aus Großengstingen, für ein halbes Jahr zwangsverpflichtet zur Arbeit in der Munitionsanstalt Haid. Barbara Püff, Flüchtlingskind aus Leipzig, erst vom Schicksal nach Engstingen verschlagen, dann durch die Liebe dort gebunden. Oberstleutnant Holger Pinnow, letzter Kommandeur des Raketenartilleriebataillons 250 bis zu seiner Auflösung 1992.

Die Studentin Maria Braig, die erste von vielen Angehörigen der Friedensbewegung, die wegen der Blockade des Sondermunitionslagers Golf vom Amtsgericht Münsingen verurteilt wurde. Sie und viele andere Menschen beleben ein Buch, das die wechselvolle militärische Geschichte der Haid nachzeichnet. »Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition« heißt das Werk des Journalisten Joachim Lenk.

Auf über zweihundert Seiten und mit vielen Illustrationen hat der Autor zusammengetragen, was sich am »Einödstandort Engstingen« zwischen 1939 und 1993 ereignet hat: Einrichtung und Bombardement der »Muna«, die Zeit der Lungenheilanstalt und des Kreisflüchtlingslagers, die Geschichte der Eberhard- Finckh-Kaserne vom ersten Spatenstich vor fünfzig Jahren bis zur Übernahme durch den Zweckverband Gewerbepark Haid.

Ausführlich vorgestellt werden die früher in Engstingen stationierten Einheiten, ihre Geschichte, ihre Kommandeure und besondere Übungen: vom Luftlandeartilleriebataillon 9 bis zum Raketenartilleriebataillon 250. Dem Sondermunitionslager Golf, zwischen 1969 und 1992 in Betrieb und in seinen aktiven Zeiten hermetisch abgeriegelter Sperrbezirk, ist ein weiteres Kapitel gewidmet.

Hier lagerte die US-Armee atomare Sprengköpfe für die Kurzstreckenraketen »Lance« – und so waren Großengstingen und das Atomwaffenlager in den Achtziger Jahren Ziel und Schauplatz von Ostermärschen und Demonstrationen der Friedensbewegung. Auch diese Episode in der Geschichte der Haid wird ausführlich dokumentiert.

Ein wichtiger Faktor in der Geschichte der Garnison Engstingen war die Standortverwaltung, jahrzehntelang der größte Arbeitgeber im Raum: 1990 waren hier knapp 450 Mitarbeiter beschäftigt. Drei Jahre später brauchten sie alle eine neue Stelle. Die meisten kamen bei der Standortverwaltung Münsingen unter – die inzwischen ebenfalls aufgelöst ist.

Prominente Besucher in Engstingen, von Franz-Josef Strauß bis Petra Kelly, Fotos aus der verlassenen Kaserne und Portraits der Reservistenkameradschaft und von Traditionsverbänden runden das Buch ab.
 

„Engstinger Militärgeschichte mit einem Schuss Frieden”
von Gudrun Grossmann (Alb Bote)

Das gleiche Format, ähnliche Aufmachung, und doch schlägt Joachim Lenk mit seinem dritten Buch ein ganz neues, sehr umfangreiches Kapitel auf – die Geschichte des Militärs am Einödstandort Engstingen.

Er hat das Soldatenleben in Münsingen aufgearbeitet und das weite Feld des Truppenübungsplatzes beackert, die Entwicklung der „Schneeschuhkompanie zum Panzerbataillon“ und sein „Letzter Appell in Schwäbisch Sibirien“ dokumentieren eine über Jahrzehnte hinweg prägende Zeit, deren Spuren nach und nach verwischen. Noch extremer ist dies in Großengstingen. Wer assoziiert damit noch Soldatendrill, das Sondermunitionslager Golf, Spionage und Schießbahnen? „Alles verändert sich“, sang einst der gute alte Rio Reiser.

Zu den Besonderheiten des Militärstandorts Großengstingen gehört, dass diejenigen, die Texte des  „Scherben”-Sängers auswendig kennen und in Parolen umgemünzt haben, diesen Ort in ihrer Geschichtsschreibung ebenso beanspruchen wie die Uniformierten, die damals in den 80ern auf der anderen Seite des Stacheldrahtzauns standen.

Heute braucht es kein Polizeiaufgebot mehr, wenn Friedensaktivisten auf die Alb pilgern und dort auf Angehörige der Streitmächte treffen – heute werden, wie vergangenen Sonntag geschehen, gemeinsam Gedenktafeln enthüllt und auf wohl einmalige Art ganz besondere „Kriegserlebnisse“ ausgetauscht.

Das alles und noch viel mehr ist in Joachim Lenks neuem Buch nachzulesen. Wieder hat er wie in einem Puzzle Teil an Teil gefügt und mit viel Akribie ein umfassendes Bild geschaffen, ein interessantes und bildreiches Nachschlagewerk – selbst für diejenigen, die keinen persönlichen Bezug zu Engstingen und dessen militärischer Geschichte haben. Vielleicht hat ein Verbot dazu beigetragen, denn Lenk wurde die Recherche im Militärarchiv in Freiburg untersagt. Begründung: Sämtliche Unterlagen unterliegen einer Schutzfrist von 30 Jahren. Dadurch war er quasi gezwungen, andere Quellen verstärkt auszuschöpfen, was dem Werk sichtlich nicht geschadet hat.

Ganz im Gegenteil. Durch viele Gespräche mit Zeitzeugen, das Ausgraben alter Fotografien, zum Teil heimlich aufgenommen, durch die Schilderung der Anfänge (Einrichtung der Munitionsanstalt Haid im Frühjahr 1939) bis zur niedergedrückten Stimmung und den Zukunftsängsten, als die Auflösung der Eberhard-Finckh-Kaserne und der Standortverwaltung beschlossene Sache war, führt Joachim Lenk in eine sehr bewegte Zeit, die eine ganze Region und ihre Menschen geprägt hat.

Auch solche, die sich durch den Titel – eine abgefeuerte Rakete und ein Wachturm – nicht direkt angesprochen fühlen. Für sie bedeutet die Haid Heilung und Zuflucht, weil sie in der Lungenheilanstalt (von 1950 bis 1953) behandelt oder als Heimatvertriebene hier vorübergehend untergebracht wurden.

Der Standort Großengstingen bildete über drei Jahrzehnte mit 13 verschiedenen Bataillonen, die teilweise mehrmals umbenannt wurden, immer einen bedeutenden Eckpfeiler der Landesverteidigung. Militärexperte und Journalist Joachim Lenk schildert eindrücklich diesen Ausbau zu einer modernen Kaserne, das Leben der Stationierten, ihre Manöver, ihren Alltag – mit vielen netten Geschichten am Rande, auch Tragödien (im Jahr 1976 kam es zu einem heimtückischen Mord im Lager), die Auswirkungen auf das Umland, die Mahnwachen und Aktionen der Friedensbewegung gegen die Lagerung von Atomsprengköpfen – eine fast zehnjährige Konfrontation – schließlich den Abzug der Militärs und den Aufbau eines Gewerbeparks auf einem einst abgeschotteten und schwer gesicherten Gelände mit „Soldaten, Sprengköpfen und scharfer Munition“. Es ist eine Geschichte von Krieg und Frieden auf der Alb. Mit einem glücklichen Ende.